Mittwoch, 22. Oktober 2014

Lyrik von Faruk Tasholli

Elegisches Triptychon auf Beqir Musliu

1. Gefesselte Prozession
(Kortezh i pranguar)


Der Sommer ist aufgebrochen und wird nie aufkommen
Mit schmerzenden, aufgeplatzten Lippen
Mit Mohn auf der Hand und mit Purpurblumen auf der Stirn
Wartend auf eine andere Jahreszeit, Feuchtigkeit oder Schneeluft
Weder der Vollmond noch ein Regenkrach
Können den vertrockneten Grasfaden berühren
In der traurigen Dämmerung oder am verbrannten Mittag
Die Amseln am Fluss sind geschwächt vor Durst
Nach dem silbernen Auge am Sonnenkrug
Dieses lyrische Geschöpf bricht erleuchtend aus
Hinter den Geländern der entzündeten Seele
Der Vers der Versen, eine gefesselte Prozession
Wie soll er sich fortbewegen, wie soll er deutlich heulen
Mit den Ausrufen, die den Todesschatten erschüttern
Fern ist die frische Erde, nah das Himmelstor
Das Gesicht des Todes können die Dichter schlecht umschreiben
Mit der seidenen Schönheit des Laufes




2. Flammendecke
(Kopertinë flake)


Die Einsamkeit, ein Magma des Schmerzes, wird immer größer
Messerscharf und aufrecht in mir
So hoch wie das Kap der Adler ziehen sich die Steine hoch
An der Spitze des Berges von Karadak vergilbt
Wo sollst du dein ängstliches Bein herunterlassen
Extremitäten von Balladen erschüttern deine Seele
Die Farben der Liebe kann man nicht einrahmen
Serembe* ist frei, die Sehnsucht zu sticken
Mit dem Haar des Mädchens am Meeressturm
Selig ist, der beunruhigt gesegelt ist
Dort, wo die Sonne untergeht oder der Weg verschwindet
Die Weisheit des Wassers zeichnet die Karte der Vergessenheit
Diejenigen, die gegangen sind, um niemals zurückzukommen
Haben aus der Brust den Stein der Trauer herausgerissen
Wie leicht sie die Saite meiner Lippe schlagen
Die Hände auf beide Wangen, eine Flammendecke
Setzen keinen Punkt auf das Ende des Dramas
Im Theater der blutenden Wiederholungen
Das Weben der Purpurblume, eine schwere Reise


* Zef Serembe (1844-1901) ist ein albanischsprachiger Dichter. (Anmerkung des Übersetzers)



3. Aquarell am Abend
(Akuarel me mbrëmje)


Angenehmer Lärm und die quälende Hitze
Auf der Fläche der Messe in Gjilan
Diejenigen, die die jungfräuliche Seele von neuen Pollen verletzen
Mogeln sich irgendwie durch
Sehr viel Verwünschung auf den Schultern geladen
Können Sie kaum auf den Beinen stehen um aufzubrechen
Auf steinigen, staubigen Straßen
Die Flötenspieler treten mutig auf die Müdigkeit
Mit der unter den Achseln verkrochenen Traurigkeit
Nur sie haben Lungen des Meeres
Um den schwarzen Tod zu ersticken, die Armen,
auf Vorabendkonzerten die Sehnsucht wehmütig verstecken
wo sich Purpurblüten niederschlagen und aufstapeln
den steinigen, lichtlosen Mauern entlang


(Aachen, Juli 1996)



Schöner Schatten
Elegie auf die Mutter

(Hije e bukur,
Elegji për nënën)


Du verschwandest an deinem weiß gewordenen Nachmittag
Wie ein Weidenblatt ins ruhige Wasser
Gruben von Traurigkeit wurden in mir gegraben


Wie soll ich all jene hellen Erinnerungen aufhalten
Diese Rückkehr ins verflohene Leben
Mit dir gemeinsam, schöner Schatten


Zum Fest wollte ich raus aus meiner Haut
Ich dachte, ich müsste ein anderer werden
Es musste laut werden, um meine Freude zu erkennen
Die hängenden Sterne im Himmel


Mit welcher Leichtigkeit du mich bändigen konntest
Um die kindliche Verteufelung in mir zu mildern


Heute ist eine Große Nacht und Licht
Mache die Kerzen in keinem Zimmer aus
Nicht mal ein Raum darf dunkel sein
Sonst kommen unsere Toten und beschweren sich
Wie schnell haben sie uns vergessen, die, die uns liebten
Im Haus, in dem wir es uns einst gemütlich machten


Du hast lange auf mich gewartet und ich habe mich verlaufen

Nun kommst du und suchst mich auf der Welt
Mit den Lieben meiner Leere
Und ich kann kaum Kerzen auf deinen Weg anzünden
Damit du mich in veralteten Kratern des Schmerzes wieder findest


(Aachen, 11.3.2001)



Schönes Jammern
(Gjëmim i bukur)


Ich werde dich mit aller Kraft heraus reißen
Wie ein verwurzelter, aufblühender Flieder
An nassen Ufern, wo der Rhein sich reibt


Auf meiner Reise kann ich dich nicht von meiner Schulter herunterlassen
Wie der Ermordete in alten albanischen Legenden
Der unter seinen Achseln seinen abgetrennten Kopf trägt
Bis zum Ziel, wo die Liebe auf den Tod stößt


Werde ich dich wohl auf das Amselfeld einpflanzen können
Wo der Regen Regen fällt und die Sonne unter der Sonne scheint
An den Beinen des Berges mit traurigem Nebel


Schließe nicht die Augen, verkrampfe nicht den Hals
Der Blumenduft ist dort gestürzt
Vom Tränengas, vom Gift Sarin
Gefallen vom Himmel der Barbarei im Frühling


Wachse nicht ohne eine Wunde in deinem Körper
Sonst gibt es keine Sprache, Süße des Schmerzes


(Köln, 1994)



Am Kölner Dom
(Te katedralja e Kelnit)


Unter den Steinen Murmeln der Orgel
Den Körper durchläuft ein süßes Schrecken
An den Wänden, wo das Läuten abstürzt
Da ist Köln, da ist Köln


Da steigt der steinige Dom
Majestätisch beleuchtet er den Nachthimmel
Die Sterne sind verteilt in den Rheinwellen
Da ist Köln, da ist Köln


Wenn sich die Einsamkeit von der Menge abhebt
Sie tritt zitternd ein auf die Ebene der Vision
Mir fehlen Drin*, Berat*, Prizren*
Da ist Köln, da ist Köln


Noch eine weile und der Sommer wird zu blühen beginnen
Am Himmelstor und am Flussgrund
Er wird die Gallensteine zertrümmern
Zwischen den Kiefern des erfrorenen Jammerns


Wo eine Erhebung Stein auf Stein zu sehen ist
Mit Beinen im Wasser, mit dem Kopf in der Sonne
Die Hand der eingemauerten Braut erstreckt sich mir
Da ist Köln, da ist Köln


(Köln 1994)

* Drin - Fluss, der im Kosovo und in Albanien fließt
* Berat - Stadt in Albanien
* Prizren - Stadt im Kosovo 

(Anmerkung des Übersetzers)



Das Gefängnis von Nish
(Burgu i Nishit)


Immer dann, wenn du Llap* verlässt und nach Nish aufbrichst
An verbrannten Ufern erhebt sich der Durst
Wo deine Frische vertrocknet ist


Immer dann, wenn du Llap verlässt und in Nish eintriffst
Auf der linken Seite erscheint ein Gebäude
Mit dem verdammten Namen Gefängnis von Nish


Du umkreist es wie ein Wirbelsturm
Mit den seit hundert Jahren aufgestapelten Erinnerungen


Die Jahre sind weggerollt und nichts ist übrig geblieben
Außer den Ortsnamen und den Hydronymen
Aus der mit der Messerspitze vertriebenen Sprache


Weiter sind Brunnen und Gräber ruiniert
Gravierte Steine sind zertrümmert und untergegangen
Und vom Weinen am Himmelstor
Wird die Erde erschüttert


Die Eifersucht der Erde verkrampft die Fäuste
Um alte Relikte aufzubewahren
Mitten im Gefängnis irrt der Adler herum
Ein zerrissener Ton aus dem Körper einer Ballade


Immer dann, wenn du Nish verlässt und nach Llap aufbrichst
Hinterlässt du einen kalten Schmerz
Mit dem verdammten Namen Gefängnis von Nish




Zerplatzte Flöte
(Fyell i plasur)


So traurig, wie Llap* mich anschaut,
habe ich noch nie erlebt


Ein Geschäft und die Hand des Verkäufers
Ist die letzte Berührung mit der letzten Stimme
Am letzten Ende am Ende meines Landes


Umsonst kaufe ich meinen Kindern Karamellbonbons
Umsonst schenke ich ihnen mein verlogenes Lächeln
Sie wollen nicht ihren Mund versüßen
In dieser seufzenden Flamme
Sie verkrampfen ihre Kiefer, damit man sie nicht hört


Es ist hundert Jahre her, das Eis schmilzt nicht
Hält die Spuren der Finger gefangen
Wo jetzt mein Fuß seinen Fers anlehnt


Ihr Menschen von Llap, aus den letzten Ufern
Warum glotzt ihr diesen erstickenden Bus so an
Der in sich tragische Schädel geladen hat
Mit den Knochen von Qele Kulla*


Seit hundert Jahren rollt der Schmerz einen Stein

Toplica ist leergeräumt, Nish ist gefallen
Zu meinem Unglück fällt meine Flucht über Nish
Die Flucht mit Nish durchlebe ich erneut


So schmerzhaft, wie Llap mich verabschiedet
Habe ich noch nie erlebt
Das Jammern von Pollata*, das aus meinem Hals entspringt
Wie eine zerplatzte Flöte, wie eine zertrümmerte Galle


* Llap ist ein Fluss und ein Gebiet an der kosovarisch-serbischen Grenze im Norden Kosovos
* Qele Kulla: ein Begriff aus dem Osmanischen Reich. Angeblich haben osmanische Soldaten albanische Widerstandskämpfer enthauptet und aus ihren Köpfen Türme gebaut, das Wort ist eine Schöpfung aus dem Albanischen kulla für Turm.
* Pollata ist ein Dorf in der Llap-Region im Kosovo.
(Anmerkungen des Übersetzers)


Aus dem Albanischen
Driton Gashi

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