Mittwoch, 30. November 2016

Brahim Avdyli - Gespräch mit dem November

Brahim Avdyli


Gespräch mit dem November [1]

1.

November,
Monat der Meditationen,
die Gedanken fallen
wie das Laub von den Bäumen,


wir verbleiben nicht alleine
mit den entrindeten Sprossen im Wind,

der Wind dringt bis in die Knochen,
wegen der geschwängerten Luft
stirbt etwas und es wird wiedergeboren
in den Poren des Liedes
in den Poren der Tränen…


2.

Du Monat des Schmerzes
erwachst mit ihnen,
wie der Wind das dürre Laub,

sammelst du die Wolken um dich herum
und rennst, um das letzte Loch
im Horizont
zu verschliessen,

einen herbstlichen Walzer tanzend
nimmst du die gefallenen Blätter auf,
bewegst die entrindeten Schösslinge,
schaukelst sie im Raum hin und her
zu traurigen Wiegenliedern.

3.

Wenn der Wind durchdringend weht
erschütterst du die Fenster der Herzen
aus Verzweiflung,

weil der Verrat sich
dort, wo die Sonne aufgeht,
unbemerkt zu einem Berg anhäuft,

und sie lassen dich noch immer nicht hinaus
sie lassen dich nicht leuchten

sie lassen dich nicht die Jahreszeiten wechseln
die Zeit in unseren Seelen erneuern,
so sehr es dein brennendes Herz auch will…


4.

Schaut, jenseits des Nebelmeeres
die Kyrenaiker,

deren Geduld am Ende ist,
wie sie die Erde zum Beben aufrufen,


die Erde soll beben -
die Magmen glühen auf,
um den Mund der Erde zu öffnen,
um das Gedankenlava

gerechtfertigt
in Richtung Sonne zu kotzen,


werden es wohl die Wolken
in den feurigen Jahreszeiten aushalten können,
oder werden sie vor dem Schrecken,
der sie durchfährt, platzen..?!


5.

Manchmal bis du, November,
das Vorwort zum Winter,


die ersten Zeilen der Wolken
sind nur lärmige Reklamen
für den Schnee, der kommen wird...

wir spüren den kommenden Eiskönig
den gewaltigen König
der mit seinem Spazierstock
hysterisch an die Tore der Tage hämmert,
den Morgen aus dem Schlaf reisst,


wir spüren
wie das krankhafte Niesen
in den geschwollenen Adern faucht,
den entzündeten Adern der Tage.



6.

Die letzten Zeilen werden nicht warten
auf den Sturm des Hauches der Menschen,

es wird das Eis schmelzen
in der Seele der Dinge.

Werden die Wolken
den Schwingungen des Aprils standhalten?!

Der Mai, der rote Mai,
fern wird er sein, wir wissen es,
fern wie ein Traum könnte er sein

doch trotzdem strahlt er uns
mit seinem blühenden Lächeln an.

7.

Jetzt, Silo des Kummers,
ergiesst sich deine bittere Lymphe
auf den Boden und ins gegraute Gras.

Die Zweige reissen die Haut
vor deiner Peitsche auf,
sie weinen dem verlorenen Grün nach
und richten ihre enthäuteten Finger
direkt auf den schwarz gewordenen Kelch...

8.


Wir haben erwartet,
dass du uns deine Körbe
gefüllt mit den Früchten unserer Mühen bringst,
November.

Dieses Glückskorn,
das wir getrocknet haben,
von allen Gesängen –

wir haben erwartet,
dass es goldbraun auf der Hand liegt
wie ein gebackenes Brot,
und dass es so schmackhaft ist
wie ein Apfel,

für dieses
wurden unserer Schatten geschält.

9.

Wie unbarmherzig
sind deine Wolken
wenn sie an den Zweigen hängen,

die Hände des Glücks haben nicht alles gesammelt,
was sie sammeln könnten,

deshalb
tröpfelt aus den gebrochenen Schösslinge der Zweige
ohne Unterlass
nur die Lymphe des Schmerzes...

10.

Wer zieht uns
die Leitern vor der Geburt weg,
sodass wir tief unten verbleiben,
 wiederholend die verfluchte Sisyphusarbeit
mit der verletzten Sonne auf dem Rücken,

 dort unten, wo die Spinnen
die Hypokrisie hervorbringen,
während sie mit den Händen den Winterschal weben,

sie stricken
ein Band aus dem Geheul
im Herzen der Erde!


11.

O diese verfluchten Spinnen,
wie gross sind sie geworden,
und ganz frei krabbeln sie
den Bluttropfen nach.

Die Erde bebt, November,
die Spinnen verwandeln sich in Nashörner
in Fleischfresser,
sie zehren unersättlich am Überfluss der Geduld,

wo immer sie können
kotzen sie Apokalypsen –
den Eiter der Löcher, welche die Sonne nie erreichte.

12.

Dein Beben muss jene schütteln,
die sterben,
damit die Poren des Seins wiederbelebt werden können.

Es muss der Tag kommen,
an dem du deine Adern anschwellen lässt
und die Flussbetten nicht beachtest,

wenn die Orkane toben,
wenn deine Stürme
den schmutzigen Umhang der Zeit zerreissen
und wenn alle verlogenen
Idole fallen,

denn du, November, bist
das Ende eines Segments,
durch welches sich die Zeit streckt und misst!


13.

Hunderte Male warst du bei uns,
doch ausser der Verzweiflung ernteten wir nichts,
deine dürren Blätter
zählten wir deshalb.

Wir waren diese Sprossen,
die dich seit jeher am Stamm der Jahrhunderte erwarteten,
immer mit gebrochenen Ästen,

mit abgerissenen Spitzchen
und schrundiger Haut,

Sprossen, die entkleidet wurden,
und im Frühling grünten-

welchen die Lymphe
wie Tränen über die Wangen der Tage floss!

14.

Wie können wir die Blätter
wie eine Decke über die Erde werfen,
bevor der Frost hereinbricht,
bevor der Schneesturm
die Wurzeln des Grases erfrieren lässt.

Fanatisch bewahrten wir den grünen Traum
unter der gerissenen Haut,

wir kauten die ganze Zeit
die Flüche der Dornenbüsche,
welche mit ihren Krallen
das All erschufen.

15.


Und durch deine Wogen
wurden viele Herzenspflanzen
zu Boden geknickt,
November.

Sie fielen im Luftwirbel
und ewig wird man ihrer gedenken.

Sie zeigten uns allen,
wie sich die Zeit in der Seele der Dinge verhält-

Das einzige Beispiel der Schönheiten
waren sie,
der Wunder,
die einen Augenblick nur währen.


16.

Wenn du kamst,
streichelten die Eichen meiner Liebe

die Treppen
mit ihren Händen knackender Zweige,

jedes Mal, wenn die Beile
eine grüne Quelle am Stamm vertrockneten,
diese wilden Beile,
geschärft in den Ecken, wo die Kohle den Russ abgibt
und die mit Teer getränkten Lungen,
angelehnt an die gebrochenen Zweige,
an jene, welche
die stolzen Eichen von sich wegwerfen
und nicht anerkennen!


17.

Das erste Mal
kamst du über das blanke Schwert
der roten Strahlen,

es war ein feuriger Regenbogen,
der die Herzen verband

und der aus dem Himmel der Lieder
alle Wolken sammelte,
und sie versengte,

durch Farben hindurch
die Horizonte siebte
und die weissen Räume erneuerte.

Hinunter zur Erde brachte er dann
den Glanz der Herrlichkeiten,
und mit ihm vermass er die Grundstücke.

18.

Streckte seine Lichtstrahlen
von einem Hügel zum anderen
und verband
die Garben der Ernte
mit dem Faden des Verstehens
und dem Vorbild,
welches sich nicht oft wiederholt.

Wir
begannen die Zahlen mit jener Jahreszeit,
und die Kinder
zogen wir mit dessen Namen auf.


19.

Danach haben wir uns oftmals
durch die Risse der Felsen
gedrückt,
einsam,
verstreut,

wir wälzten uns im Sand
bis die Tage wegen der Dunkelheit platzten,

wir erwarteten die Donnerschläge
der noch verbliebenen Lebensjahre,
dass sie unerwartet einschlügen,
um den Boden
unter den Eichen zu erschüttern,

sodass gesiebt würde ein Grossteil
der Lymphe durch die Hoffnungszweige!

20.


Das zweite Mal kamst du hastig an
uns fehlte die Zeit
um alle Fetzen des Lebens einzusammeln-

eilend mussten wir
die Hütte der Zukunft erbauen

um sogleich Platz
für die Sofra[2]
der Liebe zu haben
und für eine Wiege
für unsere Wiedergeburt,

wir mussten uns erholen
bevor die Winter, welche die Stirn
der Tageskarawane drückten, ankamen…

denn “durch die Türen
der grossen Tragödien
teilte sich das Glück der kleinen Völker”.

21.


Andere Male kamst du
mit zwei Gesichtern
die sich wie der Tag von der Nacht unterschieden,
deshalb haben wir einen Grund
um uns in jeder Jahreszeit
weiter zu bemühen

um uns als ein einziger Laib Brot
zu backen!

Und wenn wir dich würdig hervorbringen
mit dem goldenen Strahlenkranz
wirst du der dritte November sein,

dann werden wir nie mehr
mit den schrecklichen Abenteuern
der Gedichte
über die Gebirgen fliehen..!


22.

In dieser Zeit
spielen die Karnevale überall
und sie versuchen die Luft
in ein glückliches Gemälde zu färben,
deshalb wanderte ich, um die Welt zu sehen.

Dein unechtes Bild
verwirrt mich, November,
wegen den gefälschten Unterschriften,

wie kann ich dein Lachen erklären
wenn du eigentlich weinen solltest

und dein Weinen, wenn du lachen solltest
dein Aufschreien, wenn du geduldig sein solltest
und die Trägheit
in den Augenblicken der unabdingbaren Bewegung.

Viele Farben hast du
ungeordnet in die Welt gesetzt,
unschön,
Farben im Einklang mit den Karnevalen!


23.

Deine herbstlichen Trommeln
bringen meine Tränenquellen
unter den schlaflosen Augenlider
zum Fliessen,
während ich über den ungewöhnlichen Karneval
jenseits den Bergen nachdenke.

Keinesfalls kann im Herzen
Ordnung geschaffen werden,
zerbrochene Fenster
vom Versuch, die Liebe durch das Gitter
einer unerträglichen Schale zu befreien!

24.


Zu steigen
auf die Berge der Gedanken,
um die Welt von oben zu betrachten-

dies gleicht
einer fürchterlichen Verwirrung:

neben dem Brot – Hunger,
neben dem Frieden – Gewalt,
neben dem Schmerz – Gesang,
neben dem Gesang die Tragödie…

doch sprechen wir nicht mehr
mit dem verbotenen Wortschatz,
es könnten die Kuckucke
in unser Knochenmark eindringen,
und wer weiss, ob uns dann jemand
die Hand der Gnade hinstreckt-

der Schmerz
ist sowieso das Monopol des gemeinen Volkes
dem niemand die Hand bietet!


25.

So, November-
du solltest das Resümee ziehen
aus allen geschriebenen Seiten
des Lebens, das geboren wird
in den Seelen der Dinge,

und ein unantastbarer
November werden.

der Wind soll
die Wellen der Seelen mitnehmen,
er soll damit ein Feuer des Gesanges machen,
einen Kranz frischer Atmungen..!

Nur so kannst du
unser dritter Jahrestag sein-


Unsterblicher November!

(Zürich, 1989-1991)



[1]  Die Geschichte der Albaner ist sehr eng mit dem November verbunden. Geschichtlich ist der 28. November 1444, als der albanische Nationalheld Skanderbeg aus dem Ottomanischen Reich in seine Heimat Kruja zurückkehrte, um dann gegen die Ottomanen, die sein Land erobert hatten, zu kämpfen, bei den Albanern als “der Erste November” bekannt. Und der 28. November 1912, als in der Stadt Vlora die Unabhängigkeit Albaniens erklärt wurde, ist als “der Zweite November” bekannt. Die Hälfte der Territorien, des um 1912 als unabhängig erklärten Albaniens wurden von verschiedenen Balkanländern erobert, und die Albaner warten auf “den Dritten November”, in der Hoffnung auf die Wiedervereinigung Albaniens.

[2]  Runder, niedriger, traditioneller Esstisch der Götter und Albaner

Mittwoch, 22. Oktober 2014

Lyrik von Faruk Tasholli

Elegisches Triptychon auf Beqir Musliu

1. Gefesselte Prozession
(Kortezh i pranguar)


Der Sommer ist aufgebrochen und wird nie aufkommen
Mit schmerzenden, aufgeplatzten Lippen
Mit Mohn auf der Hand und mit Purpurblumen auf der Stirn
Wartend auf eine andere Jahreszeit, Feuchtigkeit oder Schneeluft
Weder der Vollmond noch ein Regenkrach
Können den vertrockneten Grasfaden berühren
In der traurigen Dämmerung oder am verbrannten Mittag
Die Amseln am Fluss sind geschwächt vor Durst
Nach dem silbernen Auge am Sonnenkrug
Dieses lyrische Geschöpf bricht erleuchtend aus
Hinter den Geländern der entzündeten Seele
Der Vers der Versen, eine gefesselte Prozession
Wie soll er sich fortbewegen, wie soll er deutlich heulen
Mit den Ausrufen, die den Todesschatten erschüttern
Fern ist die frische Erde, nah das Himmelstor
Das Gesicht des Todes können die Dichter schlecht umschreiben
Mit der seidenen Schönheit des Laufes




2. Flammendecke
(Kopertinë flake)


Die Einsamkeit, ein Magma des Schmerzes, wird immer größer
Messerscharf und aufrecht in mir
So hoch wie das Kap der Adler ziehen sich die Steine hoch
An der Spitze des Berges von Karadak vergilbt
Wo sollst du dein ängstliches Bein herunterlassen
Extremitäten von Balladen erschüttern deine Seele
Die Farben der Liebe kann man nicht einrahmen
Serembe* ist frei, die Sehnsucht zu sticken
Mit dem Haar des Mädchens am Meeressturm
Selig ist, der beunruhigt gesegelt ist
Dort, wo die Sonne untergeht oder der Weg verschwindet
Die Weisheit des Wassers zeichnet die Karte der Vergessenheit
Diejenigen, die gegangen sind, um niemals zurückzukommen
Haben aus der Brust den Stein der Trauer herausgerissen
Wie leicht sie die Saite meiner Lippe schlagen
Die Hände auf beide Wangen, eine Flammendecke
Setzen keinen Punkt auf das Ende des Dramas
Im Theater der blutenden Wiederholungen
Das Weben der Purpurblume, eine schwere Reise


* Zef Serembe (1844-1901) ist ein albanischsprachiger Dichter. (Anmerkung des Übersetzers)



3. Aquarell am Abend
(Akuarel me mbrëmje)


Angenehmer Lärm und die quälende Hitze
Auf der Fläche der Messe in Gjilan
Diejenigen, die die jungfräuliche Seele von neuen Pollen verletzen
Mogeln sich irgendwie durch
Sehr viel Verwünschung auf den Schultern geladen
Können Sie kaum auf den Beinen stehen um aufzubrechen
Auf steinigen, staubigen Straßen
Die Flötenspieler treten mutig auf die Müdigkeit
Mit der unter den Achseln verkrochenen Traurigkeit
Nur sie haben Lungen des Meeres
Um den schwarzen Tod zu ersticken, die Armen,
auf Vorabendkonzerten die Sehnsucht wehmütig verstecken
wo sich Purpurblüten niederschlagen und aufstapeln
den steinigen, lichtlosen Mauern entlang


(Aachen, Juli 1996)



Schöner Schatten
Elegie auf die Mutter

(Hije e bukur,
Elegji për nënën)


Du verschwandest an deinem weiß gewordenen Nachmittag
Wie ein Weidenblatt ins ruhige Wasser
Gruben von Traurigkeit wurden in mir gegraben


Wie soll ich all jene hellen Erinnerungen aufhalten
Diese Rückkehr ins verflohene Leben
Mit dir gemeinsam, schöner Schatten


Zum Fest wollte ich raus aus meiner Haut
Ich dachte, ich müsste ein anderer werden
Es musste laut werden, um meine Freude zu erkennen
Die hängenden Sterne im Himmel


Mit welcher Leichtigkeit du mich bändigen konntest
Um die kindliche Verteufelung in mir zu mildern


Heute ist eine Große Nacht und Licht
Mache die Kerzen in keinem Zimmer aus
Nicht mal ein Raum darf dunkel sein
Sonst kommen unsere Toten und beschweren sich
Wie schnell haben sie uns vergessen, die, die uns liebten
Im Haus, in dem wir es uns einst gemütlich machten


Du hast lange auf mich gewartet und ich habe mich verlaufen

Nun kommst du und suchst mich auf der Welt
Mit den Lieben meiner Leere
Und ich kann kaum Kerzen auf deinen Weg anzünden
Damit du mich in veralteten Kratern des Schmerzes wieder findest


(Aachen, 11.3.2001)



Schönes Jammern
(Gjëmim i bukur)


Ich werde dich mit aller Kraft heraus reißen
Wie ein verwurzelter, aufblühender Flieder
An nassen Ufern, wo der Rhein sich reibt


Auf meiner Reise kann ich dich nicht von meiner Schulter herunterlassen
Wie der Ermordete in alten albanischen Legenden
Der unter seinen Achseln seinen abgetrennten Kopf trägt
Bis zum Ziel, wo die Liebe auf den Tod stößt


Werde ich dich wohl auf das Amselfeld einpflanzen können
Wo der Regen Regen fällt und die Sonne unter der Sonne scheint
An den Beinen des Berges mit traurigem Nebel


Schließe nicht die Augen, verkrampfe nicht den Hals
Der Blumenduft ist dort gestürzt
Vom Tränengas, vom Gift Sarin
Gefallen vom Himmel der Barbarei im Frühling


Wachse nicht ohne eine Wunde in deinem Körper
Sonst gibt es keine Sprache, Süße des Schmerzes


(Köln, 1994)



Am Kölner Dom
(Te katedralja e Kelnit)


Unter den Steinen Murmeln der Orgel
Den Körper durchläuft ein süßes Schrecken
An den Wänden, wo das Läuten abstürzt
Da ist Köln, da ist Köln


Da steigt der steinige Dom
Majestätisch beleuchtet er den Nachthimmel
Die Sterne sind verteilt in den Rheinwellen
Da ist Köln, da ist Köln


Wenn sich die Einsamkeit von der Menge abhebt
Sie tritt zitternd ein auf die Ebene der Vision
Mir fehlen Drin*, Berat*, Prizren*
Da ist Köln, da ist Köln


Noch eine weile und der Sommer wird zu blühen beginnen
Am Himmelstor und am Flussgrund
Er wird die Gallensteine zertrümmern
Zwischen den Kiefern des erfrorenen Jammerns


Wo eine Erhebung Stein auf Stein zu sehen ist
Mit Beinen im Wasser, mit dem Kopf in der Sonne
Die Hand der eingemauerten Braut erstreckt sich mir
Da ist Köln, da ist Köln


(Köln 1994)

* Drin - Fluss, der im Kosovo und in Albanien fließt
* Berat - Stadt in Albanien
* Prizren - Stadt im Kosovo 

(Anmerkung des Übersetzers)



Das Gefängnis von Nish
(Burgu i Nishit)


Immer dann, wenn du Llap* verlässt und nach Nish aufbrichst
An verbrannten Ufern erhebt sich der Durst
Wo deine Frische vertrocknet ist


Immer dann, wenn du Llap verlässt und in Nish eintriffst
Auf der linken Seite erscheint ein Gebäude
Mit dem verdammten Namen Gefängnis von Nish


Du umkreist es wie ein Wirbelsturm
Mit den seit hundert Jahren aufgestapelten Erinnerungen


Die Jahre sind weggerollt und nichts ist übrig geblieben
Außer den Ortsnamen und den Hydronymen
Aus der mit der Messerspitze vertriebenen Sprache


Weiter sind Brunnen und Gräber ruiniert
Gravierte Steine sind zertrümmert und untergegangen
Und vom Weinen am Himmelstor
Wird die Erde erschüttert


Die Eifersucht der Erde verkrampft die Fäuste
Um alte Relikte aufzubewahren
Mitten im Gefängnis irrt der Adler herum
Ein zerrissener Ton aus dem Körper einer Ballade


Immer dann, wenn du Nish verlässt und nach Llap aufbrichst
Hinterlässt du einen kalten Schmerz
Mit dem verdammten Namen Gefängnis von Nish




Zerplatzte Flöte
(Fyell i plasur)


So traurig, wie Llap* mich anschaut,
habe ich noch nie erlebt


Ein Geschäft und die Hand des Verkäufers
Ist die letzte Berührung mit der letzten Stimme
Am letzten Ende am Ende meines Landes


Umsonst kaufe ich meinen Kindern Karamellbonbons
Umsonst schenke ich ihnen mein verlogenes Lächeln
Sie wollen nicht ihren Mund versüßen
In dieser seufzenden Flamme
Sie verkrampfen ihre Kiefer, damit man sie nicht hört


Es ist hundert Jahre her, das Eis schmilzt nicht
Hält die Spuren der Finger gefangen
Wo jetzt mein Fuß seinen Fers anlehnt


Ihr Menschen von Llap, aus den letzten Ufern
Warum glotzt ihr diesen erstickenden Bus so an
Der in sich tragische Schädel geladen hat
Mit den Knochen von Qele Kulla*


Seit hundert Jahren rollt der Schmerz einen Stein

Toplica ist leergeräumt, Nish ist gefallen
Zu meinem Unglück fällt meine Flucht über Nish
Die Flucht mit Nish durchlebe ich erneut


So schmerzhaft, wie Llap mich verabschiedet
Habe ich noch nie erlebt
Das Jammern von Pollata*, das aus meinem Hals entspringt
Wie eine zerplatzte Flöte, wie eine zertrümmerte Galle


* Llap ist ein Fluss und ein Gebiet an der kosovarisch-serbischen Grenze im Norden Kosovos
* Qele Kulla: ein Begriff aus dem Osmanischen Reich. Angeblich haben osmanische Soldaten albanische Widerstandskämpfer enthauptet und aus ihren Köpfen Türme gebaut, das Wort ist eine Schöpfung aus dem Albanischen kulla für Turm.
* Pollata ist ein Dorf in der Llap-Region im Kosovo.
(Anmerkungen des Übersetzers)


Aus dem Albanischen
Driton Gashi

Der Vorfall in der Leninstrasse

Brahim Ibish AVDYLI:

(Erzählung)

An jenem Markttag trieb sich Selim der Aussätzige in der Menge herum, matt vor Hunger und in ein trauriges Selbstgespräch vertieft, ohne auf irgendjemanden zu achten. Einen leeren, schmutzigen Flickensack über den Arm geworfen, war er dabei, ein paar einfache geschäftliche Berechnungen anzustellen. Und was für Berechnungen konnten das schon sein?! Mit jenen ausgekörnten, in den Strassen zusammengelesenen Maiskolben würde es ihm nicht einmal gelingen, das Busbillet für die Heimfahrt zu zahlen.
Tatsächlich reiste er wenn immer möglich zu Fuss. Der Bus, wie überladen er auch sein mochte, war ein Luxus, den er selten oder nie in Anspruch nahm. Dichte Staubschwaden oder ein unerwartet durch die Luft fliegender Stein waren das Einzige, was vom Bus für ihn blieb.
Die ganze Woche sammelte Selim der Aussätzige in seinem Sack die leeren Maiskolben, wo immer er welche fand. Im Matsch. Auf der Strasse. In den Hinterhöfen. All die entkörnten und dann weggeworfenen Kolben. Er reinigte sie vom Dreck. Er trocknete sie an der Sonne. Auf dem Markt verkaufte er sie den Leuten, die keine Heizung hatten. Davon gab es viele. Alte, Studenten, Arbeitslose …
Darin erschöpfte sich die ganze Ware, die Selim der Aussätzige in die Stadt bringen konnte. Was für eine Stadt! Entlang der Strasse entstanden von Tag zu Tag neue Häuser. Immer höhere, immer schönere.
„Diese Leute haben entweder eine Verbindung zu Gott, oder das Geld prasselt ihnen den Kamin herunter!“ – sagte Selim. Wenn er sprach, brachen die andern in schallendes Gelächter aus. Nur wenige verstanden ihn. Und auch wenn Selim weinte, lachten die andern oder machten sich über seine Worte lustig. Doch ihm war nicht zum Lachen zu Mute. Im Gegenteil. Er hätte manches Mal geweint, wenn er sich nicht geschämt hätte.
Meistens verspotteten sie ihn. „Er hat keine Verbindung zu Gott“ – sagten sie, „weil er aussätzig ist“. Sein Aussatz begann schon mit seinen Lumpenkleidern und dem verkrümmten Rückgrat. Selbst sagte er, es sei die Kooperative gewesen, die ihm den Rücken kaputt gemacht hatte. Jahrelang hatte er schwere Arbeit in den Staatswäldern geleistet. Als die Zeit der Kollektive beendet wurde, fand er sich ohne Arbeit und ohne Geld wieder.
Von der Kooperative hatte er einen zweiten Nachnamen geerbt: Selim der Proletarier. Seiner Ansicht nach waren alle, die keine „Watte auf den Ohren“ – wir würden sagen, „keine Watte in den Ohren“ - hatten, „Proletarier erster Klasse.“ Das war kein Witz. Er hatte dies ernst gemeint. So wie es der Theorie entsprach. Aber die Ernsthaftigkeit und die Theorie brachten ihn ins Gefängnis. Völlig umsonst versuchte er zu erklären, dass sein Ausspruch aus Gründen der Besitz- und Arbeitslosigkeit entstanden war. Mit dieser Erklärung verrannte er sich vollkommen. Das Bezirksgericht lehnte seine Beschwerde sofort ab und erhöhte seine Strafe um zwei Jahre.
Auch nach dem Gefängnis, als Feind der sozialistischen Staatsmacht, änderte er seine diesbezüglichen Ansichten nicht. Seiner Meinung nach war jeder Mensch, der keine Arbeit hatte, in Wirklichkeit ein Proletarier.
„Auf eine Art gleichen sie den Unglücklichen, den guten Menschen, die nur auf diese Welt gekommen sind, um zu leiden. Sie alle fänden in der andern Welt Belohnung, wenn sie an Gott glaubten, ans Paradies. Leider sind viele von ihnen nicht gläubig“ – sagte er. „Deshalb werden sie auch dort im Höllenfeuer braten.“
„Und die andern?“ – fragten sie ihn.
„Die andern, die warten nicht aufs Jenseits!“ – erwiderte ihnen Selim. „Die andern machen sich an die Güter des Diesseits. Schaut selbst: einige Proletarier kommen weit in ihrer Karriere, werden reich! Sie beginnen mit einem kleinen Laden und am Ende haben sie eine Fabrik!“
Kaum hatte er sich an jenem Tag von der Menge getrennt und war in die Hauptstrasse eingebogen, tastete er seine Jackentaschen ab, wie um sich zu vergewissern. Das Stück Maisbrot, das die alte Mane ihm beim Verlassen des Dorfes geschenkt hatte, war unversehrt. Es stellte ein ganz besonderes Geschenk dar.
Der alten Mane tat er immer leid. Obschon sie selbst eine armselige Alte war, half sie ihm oft. Sie regte sich über die Buben auf, die nie von Selim dem Aussätzigen ablassen konnten.
„Guter Selim, weshalb duldest du es, dass dich diese Strassenjungen plagen!“ – tadelte sie ihn.
„Was soll ich gegen sie tun, brave Mane? Sie umzingeln mich von allen Seiten!“ – gab er zurück.
„Soll sie ein Unheil treffen! Dass sie sich nicht schämen, sich über einen Unglücklichen lustig zu machen!“ verfluchte sie die Alte.
„Unsereins bringt sie nun mal zum Lachen und nicht zum Weinen!“ – erklärte Selim.
„Wir Bedauernswerten!“ – gab die Alte schlussendlich nach. Fand sich unter ihrer zerlumpten Bluse ein Stück Maisbrot, ein Bröckchen Käse oder etwas anderes Essbares, nahm sie es behutsam hervor.
„Da! Nimm einen Bissen!“ - sagte sie zu ihm mit ihrem runzeligen Lächeln im Gesicht.
„Gott möge dich mir erhalten, gute Mane!“ wünschte er ihr aufrichtig.
Für heute hatte er das Brot im Sack. Diesmal ohne Käse, Zwiebel oder Lauch. Was sich unter dem Busen der alten Mane für ihn halt gerade finden liess. Selim der Aussätzige verlangte nie Almosen. Das war nicht seine Art.
„Gott hat mir Hände und Füsse zum Arbeiten gegeben“ – erklärte er. „Und darum will ich Proletarier sein und nicht Bettler.“ Ihm gefiel es, vom eigenen Schweiss zu leben.
Schon als sein Ruf als komiker, als Proletarier entstand, fanden die Leute mehr Gefallen daran, ihr Spiel mit ihm zu treiben als ihm eine Arbeit zu geben! Sein Aussatz waren in Wahrheit die Lumpen und Sorgen, die er mit sich trug.
„Der arme Selim!“ – kommentierte die Alte. „Er kennt keine Hintergedanken!“
Die Hauptstrasse der Stadt war auch heute voller Menschen. Alle Vehikel, Pferdewagen, Autos, Lasttiere und Bauern mit Säcken auf dem Rücken pfadeten sich nur mit Mühe einen Weg durch die Menge in Richtung Zentrum. Selim dem Aussätzigen gelang es kaum, die Strasse zu überqueren, um auf die andere Seite zu kommen. Dabei fiel sein Blick zufällig auf das Schild mit dem Strassennamen. Er näherte sich der blauen Tafel und las, wie um sich zu überzeugen:„Leninstrasse – Ulica V.I.Ljenina“.
„He, bravo Väterchen Lenin! – rief er aus. – Hast deine Strasse gut gewählt! Schau her, überall Geschäfte! Voll mit Ware! Nicht umsonst nannten sie dich den Vater der Armen dieser Welt! Schau nur! Alle hast du sie zu feinen Herren gemacht! Die, die zur Schule gingen, wurden Beamte! Die, die ein Handwerk hatten, wurden Ladenbesitzer! Die, die es verstehen an der Spitze zu stehen, wurden Machthaber! Bravo, Grosser Vater!“
„Mir hingegen hast du nicht geholfen. Arbeit finde ich keine. Einen Beruf habe ich nicht. Gebildet bin ich nicht.“
„Aber ich bin dir deswegen nicht im Geringsten böse. Ein Proletarier muss ein Proletarier bleiben!“
- Hau ab, alter Trottel, und nimm dich in Acht vor den vor der Polizei! – schrie ihn ein Ladenbesitzer an, kaum hatte er ihn gehört.
- Hört mal, was hab ich getan, guter Herr? Ich spreche nur mit mir selbst! – reagierte Selim betroffen.
- Hau ab, hörst du, hab ich dir gesagt! Bring mir kein Gezänk in den Laden! Du hast wie es scheint ein gefährliches Mundwerk! – drohte ihm der Ladenbesitzer erneut und packte ihn am Arm. Selim der Aussätzige entfernte sich ohne einen Mucks.
Nun wurde seine Nase sofort von würzigem Fleischduft gekitzelt. Er war vor der kleinen geöffneten Türe eines Grilllokals angelangt. Ein junger Bursche, dem der Schweiss vor Hitze über die Haut lief, drehte die Fleischstückchen auf dem Grill und blies in die Glut. Der wohlriechende Duft regte Selims Appetit an, der Magen begann ihm zu knurren.
„Wäre es Sünde, wenn Selim der Aussätzige ins Grilllokal träte und ein Köfte ässe? Ein kleines, rundes Köfte?!“ – fragte er sich.
Es war lange her, seit er das letzte Mal ein kleines Bisschen Fleisch in seinem ausgetrockneten Mund gehabt hatte. So etwas wäre etwas ausserordentlich Seltenes, ein unerlaubtes Privileg für einen Proletarier wie er. Und nachdem sein Magen so unerwartet in Versuchung geführt worden war, vergass er sich völlig, so dass er die vier betrunkenen Polizisten in der Ecke des Grilllokals nicht bemerkte. Nicht einmal ihre auf Serbisch ausgesprochenen Bestellungen. Seine Füsse blieben einfach vor der Türe stehen.
Bis er zur Theke gelangte, berührte er mehrmals seine Jackentasche, wie um sicherzustellen, dass das Maisbrot noch dort war. Ganz sachte und versunken in seinen Traum wandte er sich an den Wirt, einen dicken und unsympathischen Mann, der sich kaum hinter der Vitrine zurückhalten konnte:
- Bitte, kann ich ein einzelnes Köfte haben? Das Brot habe ich bei mir im Sack!
- Hau ab, raus! – schrie jener. – Das geht nicht!
- Bitte! Ich zahle. Ich habe Geld für ein Köfte!
- Hau ab, raus, sag ich dir! Belästige nicht meine Kunden! – befahl der andere schroff.
Als Selim gerade weiter erklären wollte, stand ein dicker Polizist auf, stockbetrunken von den vielen Gläsern Bier, die er geleert hatte, und ununterbrochen gähnend vom zu vielen Essen, und packte ihn am Nacken:
- Hau ab, raus, ich f… deine Mutter! – herrschte er ihn auf Serbisch an.
- Oh hört doch! – schrie Selim von draussen. – Ich zahle es! Schaut, ich habe das Geld!
- Scher dich weg, hast du gehört, Bettler! – drohte der Besitzer. – Einzelne Köfte verkaufen wir nicht! Habt ihr das schon mal gehört, er werde es mit seinem mitgebrachten Brot essen! Wo bist du geboren? Auf dem Mond?!
- Nein, hört mich an, hier bin ich geboren! In diesem Wilajet! – gab Selim bitter zur Antwort. – Und dass du es weißt, ich bin kein Bettler! Wenn ich auch auf der Strasse sterben müsste, meine Hand strecke ich nicht aus!
- Ha-a! – lachte ihn der andere aus. – Schau doch die Fetzen die du trägst!
Damit hatte er ihn zu weit in die Enge getrieben. Nie war Selim der Aussätzige in einer schwierigeren Lage gewesen als jetzt. Nicht einmal damals, als er vom Bauholz lebensgefährlich verletzt. „Wäre ich gestorben – sagte er – hätten sie mich zum Helden der sozialistischen Arbeit ernannt!“
- Höre, schämst du dich nicht, so mit mir zu reden? – erwiderte er ihm mit lauter Stimme. – Man sollte meinen, es sollte dir zur Ehre gereichen, dass du deinen Laden an der Strasse Lenins hast! Aber war Lenin nicht der Vater aller Armen der Welt?! He, Väterchen Lenin! Dein Proletarier kann sich nicht einmal ein Fleischbällchen kaufen! Du brichst mir das Herz, Ehrenwort ! – und es fehlte nicht viel, dass Selim in Weinen ausgebrochen wäre.
Noch bevor Selim zu Ende gesprochen hatte, standen die Polizisten vom Tisch auf. Sie packten ihn. Sie warfen ihn zu Boden und schlugen ihn mit Gummiknüppeln und Fäusten, traten ihn mit Fusstritten. Wo sie ihn treffen konnten. Auf den Lärm hin versammelten sich viele Leute. Niemand bot den Schlägern die Stirn und wagte es, etwas zu sagen. Woher sollten die Leute wissen, was geschehen war! Sie schauten nur zu.
- Was hast du gegen Lenin und den Sozialismus? Gegen das Proletariat? Gegen unsere Gesellschaft?
- Gegen die Selbstverwaltung? … - liessen die Polizisten zornentbrannt ihre Wut an ihrer Beute aus.
- Du Mistkerl! Albanischer Nationalist! Albanischer Separatist! Irredentistischer Mistkerl!
- Ich f… deine albanische Mutter! Schwein!
Irgendwann rührte sich die Menge. Die Polizisten fühlten sich herausgefordert von der Bewegung in der Menschenansammlung. Nervös begannen sie zu drohen. Sie hatten den Eindruck, dass die Masse sich mit dem Staatsfeind solidarisierte, der geschlagen, verurteilt, umgebracht werden musste, da er die heiligste Figur des Jahrhunderts beleidigt hatte. Sie sahen nicht auf den Geschlagenen, der die letzten Augenblicke seines Lebens zählte. Sie zogen die Waffen aus dem Gürtel und schossen ein paar Mal in die Luft, ganz nahe an den Köpfen der Leute vorbei.
Davon eingeschüchtert verstreuten sich die Menschen in alle Richtungen. Ein Taxichauffeur, der den Geschlagenen kannte, näherte sich langsam und beruhigte die Polizisten. Er zeigte lange auf ihr Opfer. Im Guten bewegte er sie dazu, ins Grilllokal zurückzukehren, und bestellte ihnen zu Trinken. Dann liess er sich von ihnen die Erlaubnis geben, den Körper des Verstorbenen vom Ort des Vorfalls zu entfernen.
So endete der letzte Proletarier jenes Landstrichs. Das Ereignis hatte kein Echo. Weder eine offizielle Version, noch eine Zeile in irgendeiner Zeitung gab es über diesen Fall!
Es gab lediglich ein paar der üblichen Spötteleien von jenen, die dieses üble Handwerk betrieben.
- Der Unglückliche starb für ein Köfte! – sagten einige.
- Natürlich, er war nicht umsonst der letzte Proletarier! – fügten die andern hinzu.


P.S.
-Diese Erzählug wurde von der Sarah Barbara Gretler,
aus der Buch "Spuren einer Zeit", Faik Konica, Prishtina 2005, übersetzt.

Sonntag, 5. Oktober 2014

Gazmend Freitag - Biographie

Kindheit

Gazmend Freitag wurde am 25. Mai 1968 in Pataqan i Poshtëm geboren. Damals arbeitete sein Vater Asllan als Emigrant in Lyon in Frankreich. Seine Mutter Qamile war zwar des Lesens und Schreibens nicht mächtig, aber dafür eine großzügige, liebenswerte und herzensgute Frau. Sie gebar fünf Buben, von denen Gazmend der dritte ist. Die Mutter liebte ihre Kinder über alles, kümmerte sich um deren Ernährung, Kleidung und Gesundheit. Ihr Herzenswunsch war eine reguläre Schulbildung der Kinder, weshalb sie dafür sorgte, dass sie gut lernten.

Schon als Kind stach Gazmend mit seinem Talent fürs Zeichnen hervor. Als Schüler widmete er sich auch der Literatur. Da seine Familie keine Ahnung von Kunst und Literatur hatte, fehlte ihm ihrerseits die Unterstützung für die Förderung seiner Talente. Seine Zeichnungen, welche die Wände der Volksschule schmückten, zogen keine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Die erste Anerkennung bekam Gazmend von “Rilindja për Fëmijë”, dem jeden Dienstag für Kinder veröffentlichten Anhang der kosovarischen Tageszeitung “Rilindja”, als eines seiner Gedichte den dritten Platz im Kosovo erreichte.


Schulbildung

Seine ersten Schülerzeichnungen werden im Archiv der Volksschule des Heimatdorfs aufbewahrt. Die Hauptschule absolvierte Gazmend in Fortesa. Die ersten beiden Gymnasiumsjahre verbrachte er in Rahovec, die beiden letzten in Prizren, wo er auch lebte. Danach begann er 1987 ein Jusstudium in Prishtina. Im gleichen Jahr wurde er zum Militärdienst einberufen. 1988 setzte er sein Studium fort. Das war die bitterste Zeit für Gazmend, weil nach den ersten beiden Semestern die Universität für Albaner von den serbischen Machthabern geschlossen wurde. In der Folge nahm er an den Studentenprotesten des Jahres 1989 teil. Einige von ihnen mussten das mit ihrem Leben bezahlen, andere wurden verhaftet oder verfolgt. Darunter auch Gazmend, der mit verlorenen Hoffnungen in sein Heimatdorf zurückkehrte.


Ungewollte Emigration

In dieser hoffnungslosen Situation sah sich Gazmend 1990 gezwungen, nach Deutschland zu emigrieren. Dort entschied er sich gegen den Willen seiner Eltern, die wünschten, dass er wegen seines starken und weitsichtigen Charakters Jurist werde, für ein Künstlerleben. Von 1990 bis 2003 besuchte er an verschiedenen Akademien Kurse für Porträtstudien mit Ölfarben. 2013 begann er das Kunststudium an der Universität Linz, und zwar im Fach Aktzeichnen bei der bekannten Professorin Anneliese Oberdanner.


Grafiken und andere Werke (2000-2010)

Da die Ernsthaftigkeit des Malerdaseins Zeit und Können verlangt, sah sich Gazmend dazu veranlasst, Privatstudien bei einigen erfahrenen Meistern zu tätigen. Seine Arbeiten beinhalten zahlreiche Motive: autobiografische Elemente, Landschaften des Geburtsortes, Porträts von unterschiedlichen Leuten, Erinnerungen aus der Kindheit, Aktstudien, Stillleben usw.. Er verwendet hauptsächlich folgende Techniken: Zeichnungen mit Bleistift, Kreide und Tusche sowie Ölfarben auf Kanevas usw.. Alle diese Kunstwerke zeugen von der seelischen Feinfühligkeit des ambitionierten Künstlers.

Sëveme Fetiqi - Spigel der Erinnerungen

 
Spigel der Erinnerungen
 
Die Zukunft kann nicht träumen
wir träumen nach ihr
besonders wenn die erinnernde Vergangenheit...

uns erzählt...
 
Was wärst du, Brikena, ohne Freiheit ?
ohne dich meine Tochter,
was wäre die Welt ?
____
vom albanische Sprache
übersetz vom Ferdinand Laholli

Besim Xhelili - Wiederbelebung

 
WIEDERBELEBUNG
 
Kalte Strahlen
Einer ermüdeten Wintersonne
Ohne mich zu fragen...

In meine ruhige Zelle eindringen.
 
Sie haben die Adresse verwechselt
Ich bin nicht der kopflose Reisende
Der von Osten nach Westen pendelt
Und lächelt wie ein Treueloser.
 
Ich ertrage es nicht, bin schnell berührt
Ich schwöre bei meinen Vorfahren
Wie sehr du mir Böses wünscht
Ich werde wieder aufleben.

Ragip Dragusha - Bergfee

 
Bergfee
 
Deine beiden Augen sah ich, Fee.
Erzählst du mir, wer dich begehrt?
Zur Quelle gehst du voller Lieder, Fee,...

und kehrst zurück so recht verklärt.
 
Deiner Augen prächtig‘ Glanz,
von Sonnenstrahlen erjagt,
lässt nahe keinen ganz,
verbrennt jeden, der es wagt.
 
Ist dir gar zu schwer das Fass,
das dir den Rücken müht?
Oder sind‘s die Schuh‘ im kühlen Nass,
die dir beengen das Gemüt?
 
So sprich doch, Fee, und sinne nicht!
Sag mir, was dich bedrückt.
Leide nicht so fern der Menschen Sicht,
sprich doch ein Wort, bleib nicht entrückt.
 
Niemals hab‘ ich aufgegeben,
bei der Mutter, die dich großgezogen!
Lass mich nur ein Mal in deine Nähe streben,
dich zu umarmen in deines Duftes Wogen.
 
„Nein, mein Junge, ich bin's nicht gewöhnt,
in jedermanns Augen zu blicken!“
„Bei dem einen Gott, der dich gekrönt:
Es zerreißt mir das Herz mit Stricken.“
 
Schenk mir doch, o Fee, dein Herz,
dass meine Seele es verführe.
Stell ab dein Fass voll Schmerz,
lass mich es tragen zu deiner Türe.
 
Dann komm doch, mein Jüngling,
dem der Berge Wälder Lieder singen,
denn dir gehört nun meiner Liebe Ring,
doch fürcht' ich, Schande über uns zu bringen.
 
Nein, liebste Fee, ewig will ich dich beglücken,
bei meiner Ehre, der teuren.
Schöne Blumen werden wir pflücken,
uns für immer ihrer freuen.
 
Wien, Oktober 2011